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DEKO POP
Katalogtext von Carolin Meister. Der Katalog ist anlässlich der Ausstellung „Splendid Isolation – Goldrausch 2009“ im Kunstraum Kreuzberg, Berlin erschienen. ISBN 978-3-941318-16-8
Deko Pop.
Regenbögen aus dem Filzstiftkasten
Carolin Meister
Bunt sieht es hier aus. Bunt wie in einer Federmappe: Spuren von Filzstiften, Edding, Textmarkern, Copic Markern, Bleistiften, Kugelschreibern, Buntstiften, Lackstiften, dazu farbige Markierpunkte als Aufkleber. Andrea Übelackers Autobiographische Datenbank (2008/09) entfaltet das ganze Arsenal einer Farbwelt, die mit Textarbeit und Schule konnotiert ist statt mit Malerei. Es sind Farben, die ins Auge springen, koloristische Ausrufungszeichen, erfunden um typographische Ödnis schlaglichtartig zu durchbrechen. Die Werkreihe AMF (Alle meine Filzstifte) ebenso wie die Autobiographische Datenbank spielen auf einer knallig bunten Klaviatur, die an den Sound der Schulzeit erinnert, als Blätter, Federmappen und oft auch die eigenen Finger mit bunten Strichfetzen überzogen waren.
Beim Blick auf die Zeichnungen erinnert man sich dann, dass die Marker und Schreibgeräte schon damals nicht nur zum Markieren und Schreiben dienten, sondern auf kariertem Papier und in Schulheften ganz eigene Blüten trieben. Blüten, die in den Zeichnungen von Übelacker fortleben, als wären sie in den Stiften irgendwie gespeichert. Da gab es Figuren eines Zeichnens, bei denen die Hand nur der Erfüllungsgehilfe eines Plans war, der aus dem Karo des Papiers und dem Sortiment der Stifte hervorging. So entstanden regenbogenartige Raster, die ihre simple Regelhaftigkeit nicht verbargen und sich am automatisch generierten Muster erfreuten. Dann waren da all jene zerstreuten Übungen, die sich am Vorgefundenen orientierten und irgendwelche Tintenflecken oder Buchstaben als Ausgangspunkt ihrer farbigen Ornamentik wählten: Blütenblätter, die um Punkte herum sprossen, Linien, die in knalligen Farbfolgen Buchstaben umfuhren oder Landkarten, die zufällige Flecken als Inseln verzeichneten.
Die Verfahren der Autobiographischen Datenbank knüpfen hier an und heben eine längst vergessene Farbwelt ans Licht, die zur selben Zeit das Lehrmaterial kolorierte, als man sich das erste Mal die Nägel lackierte oder mit Neongel Haarsträhnen einfärbte. Übelacker lässt diese ganze Poetik wieder aufleben, die viel mehr als nur eine Randnotiz zur Schulzeit war. Wie viele sorgsam gezogene Filzstiftlinien vervielfältigen hier die Konturen der Worte, bis sie an den Rand des Blattes stoßen oder von irgendetwas wellenartig zurückgeworfen werden. Wie viele Punkte blühen buntfarbig auf, oder füllen sich mit Farbe an, blähen sich, um zum poppigen Ornament zu werden. Und wie viele Flecken werden zu Magneten für kleine Regenbögen, die sich kreisförmig um sie herum legen und das ganze Blatt in ein himmlisches Archipel verwandeln.
Dennoch hat man es hier nicht mit einer einfachen Regression in die kleinen koloristischen Eskapaden der disziplinierten Schülerhand zu tun. Übelackers Zeichnungen sind ebenso durch die Schule von Pop und Appropriation gegangen. In einer mit Filzstiften eingefärbten Optik zitieren sie Patterns aus Farbfernsehen und Dekoshop, Werbung und Produktdesign, Girlie-Kultur und Kunstgeschichte. Auf diese Weise kommen unverhoffte Verwandtschaften zustande, die eine Gradwanderung zwischen banal und surreal vollziehen: Prilblumen weisen den Weg zu Bridget Riley, Regenbögen – immer wieder Regenbögen, als ob sie die eigentlichen Geschöpfe der Filzstiftschachteln sind – erscheinen als Widergänger von Eva Hesses erotisiertem Minimalismus und die deduktive Strategie der Black Paintings von Frank Stella scheint mit einem Mal der Schulbank zu entstammen.
Bisweilen werden einzelne Idiome des Modernismus ausgegraben, um in der grellen Schminke von Textmarkern noch einmal aufzutreten. Auch die Werkreihe AMF von 2008 testet mit dem Raster ein solches Idiom und produziert mit Hilfe von Geodreieck und Filzstiften chromatische Texturen, die zwischen Agnes Martin und Fernsehflimmern oszillieren. In der Autobiographischen Datenbank gibt es eine Folge von Blättern, die dem Gestischen gewidmet sind. Übelacker gibt das Idiom der Expressivität par excellence nicht nur in die Hand von Markern, die allzu schlecht dafür geeignet sind, irgendeine Subjektivität in Linien aufzuzeichnen. Das Gestische wird zum reproduzierbaren Pattern konvertiert. Und zwar so: Das Papier wird in einer Folge von Übermalungen mit verschiedenen Farben in großen Gesten bearbeitet. Anschließend schneidet Übelacker die verbleibenden Zwischenräume aus und erzeugt damit einen Scherenschnitt, den sie zumeist rückseitig präsentiert.
Man kann dieses Vorgehen als den schrittweisen Entzug des Expressiven beschreiben, bei dem nach und nach alles eingefroren wird, was das Gestische ausmacht: Handschriftlichkeit, Bewegung, Verkörperung, Spur, Kraft – all dies erstarrt zum Muster, zu einem Scherenschnitt, der sich vervielfältigen lässt. Was einmal Träger des Ausdrucks war, hängt an der Wand wie ein Stück weiße Papierspitze aus dem Dekoshop – eine ausgebleichte Larve, aus der jedes Leben entwichen ist. Nur an der Neigung der Linienbündel, die sich immer wieder zu kleineren Flächen verdichten, lässt sich noch entziffern, dass das Blatt umgekehrt bearbeitet wurde. Und an der Strahlkraft, welche die nun rückseitigen Linien entwickeln. Zwischen Wand und Papier nistet sich ein ganz eigenes Leben ein. Denn die Zeichnungen aus Copic Marker, Textmarker und Window Marker strahlen ihre koloristische Energie an die Wand aus, von der sie zurückgeworfen wird. Bunte Lichter leuchten wie Heiligenscheine hinter der leeren Maske auf.
Übelackers Autobiographische Datenbank knüpft auf diese Weise sehr verspielt an einige Fragen an, welche die Kunst des 20. Jahrhunderts geprägt haben: Raum und Fläche, Punkt und Linie, Subjekt und Objekt, Bild und Sprache, Hoch und Tief, Ausdruck und Außen etc. Sie tut dies in Form einer Geschichte, oder besser: eines Ge-Schichtes: Schicht für Schicht trägt Übelacker einen Din-A 3 Block ab und bearbeitet ihn Blatt für Blatt. Chronologisch in Reihen untereinander gehängt, fächern sich die Blätter des Zeichenblocks allmählich auf zu einem Tableau, in dem Untersuchungsreihen und idiomatische Folgen ebenso sichtbar werden wie Diskontinuitäten und Anachronismen.
Dabei trägt jede Zeichnung das Gedächtnis des Blockes mit sich. Denn das einzelne Blatt war in der Schichtung erst einmal Unterlage, bevor es zum bearbeiteten Bildfeld wurde. Vielen der Zeichnungen sieht man diese Vergangenheit an: Durchgesickerte Farbe hinterlässt ihre Spuren und immer wieder zeigen Strichbündel an, dass bei der vorangegangenen Zeichnung über das Format hinaus gemalt wurde. Die Szene der Zeichnung geht insofern nicht von einem unberührten Blatt aus, sondern vom Dispositiv einer Schichtung, in das sich ein materielles Gedächtnis einnistet. Jedes Papier des Blocks trägt die Schatten bereits abgeschlossener Zeichnungen und hinterlässt auf dem folgenden Blatt seinerseits Spuren. In diesem Geschichte fördert die Regression zu den von Filzstiften und Markern gezeichneten Mustern der Schulzeit auf wundersame Weise eine glamourös-trashige Genealogie der Kunst der letzten fünfzig Jahre zu Tage.